Viele Menschen haben ein Problem damit, sich Selbstwert zuzuschreiben, sich zu achten und Rücksicht auf sich zu nehmen. Die Würde des Menschen gibt Hilfestellung.
Am Anfang des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland steht:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG
Es ist dies das erste und entscheidende Grundrecht, das uns unsere Verfassung garantiert. Gleichzeitig ist es ein bisschen schwer zu verstehen, was mit der Würde des Menschen überhaupt gemeint ist. Wir würdigen etwas, indem wir dessen Wert und Stellung anerkennen und uns entsprechend verhalten. Der Schutz der Würde des Menschen bedeutet, dass kein Mensch Handlungen oder Zuständen ausgesetzt sein darf, welche unwürdig oder entwürdigend sind.
Daraus leitet sich alle unsere Grundrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ab. Hinzu kommt meines Erachtens noch das Recht auf psychische Unversehrtheit. Der Schutz der Menschenwürde bedeutet jedoch auch, dass alle Menschen nicht nur dieselben Rechte, sondern auch denselben Wert haben. Sie müssen nicht erworben werden, noch können sie veräußert oder verwirkt werden. Jeder Mensch verdient es daher, dass man ihm mit Respekt, Empathie und Rücksichtnahme entgegentritt. Dies eben verlangt seine Würde von uns.
Nun: Wie ist es mit uns selbst? Warum begegnen wir uns selbst häufig ohne Respekt, Empathie und Rücksichtnahme?
Würde und Respekt
Die Würde des Menschen begründet die allen Menschen gegenüber notwendige Achtung und den Respekt. Durch diese Haltungen wird die Anerkennung dieser Würde ausgedrückt. Wie man respektvoll mit einem Menschen umzugehen, ist eine Frage der Angemessenheit. Bestimmte Verhaltensweisen sind angezeigt. Viele andere sind unangemessen oder übergriffig und deswegen untersagt.
Wir verstehen sehr gut, wie sich dies im alltäglichen Miteinander auswirkt. Damit meine ich nicht die deutschen Eigentümlichkeiten einer persönlichen und einer förmlichen Anrede und die große Bedeutung von Titeln. Ich meine die Grundregeln der Höflichkeit, der Freundlichkeit, des Abstandes, der Zurückhaltung.
Die Frage ist, ob wir uns selbst gegenüber dieselben Grundregeln beachten. Zeigen wir uns selbst gegenüber tatsächlich Respekt? Würdigen wir uns in unseren Selbstgesprächen? Oder behandeln wir uns unwürdig, entwürdigend? Sind wir so freundlich zu uns selbst, wie wir es anderen gegenüber sein sollten?
Die Arbeit an unseren Selbstgesprächen ist Teil der meisten Therapien, weil so viele Menschen nicht respektvoll zu sich selbst sind. Zu schnell sind wir dabei, uns aufs Schärfste zu verurteilen, keine Grenzen zu wahren, indem wir uns gnadenlos abwerten, uns mit Ableismen zu bezeichnen, indem wir uns „dumm“ oder Schlimmeres nennen.
Aber die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt auch für unsere eigene. Wir haben gegenüber uns und anderen Anspruch auf denselben Respekt. Ihn müssen wir uns nicht verdienen. Wir haben ein Recht darauf, weil wir sind.
Das Problem also ist, dass wir – vermutlich weil wir das von anderen so erfahren haben – uns die Anerkennung der ja bedingungslosen Würde verweigern. Es ist an der Zeit, uns diese Anerkennung und den aus ihr folgenden Respekt geben.
Empathie und Rücksichtnahme
Dasselbe gilt für Empathie und Rücksichtnahme. Wir bemühen uns, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen und uns in ihre Lage zu versetzen. Das machen wir, weil wir wissen, dass alle Menschen Bedürfnisse haben. Außerdem ist unser aller Leistungsfähigkeit begrenzt. Wo ein Mitmensch seine Bedürfnisse nicht erfüllen kann oder überfordert ist, haben wir Mitgefühl, helfen, wenn wir können, und üben uns in Nachsicht.
Warum fällt es uns dann so schwer, in derselben Weise auch mit uns umzugehen? Viele Menschen verlangen sich selbst um ein Vielfaches mehr ab als anderen. Wir ignorieren unsere Bedürfnisse oder verbieten uns deren Erfüllung. Vor allem sehen wir nicht ein, dass auch wir nur begrenzt belastbar sind.
Bei anderen fällt es uns leicht zu fragen, wie es ihnen geht, und uns darauf einzustellen. Es ist an der Zeit, das auch bei uns selbst zu tun. Wann hast du das zuletzt getan? Wie geht es dir gerade?
Unsere Würde unterstreicht unser Recht auf Selbstpflege. Wir haben dieses Recht genauso wie jeder andere Mensch. Zudem steht uns der Schutz unserer physischen und psychischen Unversehrtheit zu. Überforderung, vor allem dauerhafte Überforderung macht uns krank. Wir sind es unserer Würde schuldig, uns selbst zu schützen.
Würde und Selbstwert
Wahrscheinlich steckt hinter dem, wie wir uns selbst behandeln, ein Problem mit unserem Selbstwertgefühl. Viele von uns haben einen Mangel daran. Am Anfang unseres Lebens können wir über unseren Wert nur etwas lernen aus den Werten, die uns vermittelt wurden, und den Erfahrungen damit, wie andere mit uns umgegangen sind. Deshalb schreiben wir uns selbst einen Wert auch nur aufgrund dieser Erfahrungen zu.
Dabei hängt unser Wert gar nicht davon ab. Er hängt von gar nichts ab als unserem Sein. Das ist, wenn man etwas ganz anderes gelernt hat, sehr schwierig zu verstehen und zu verinnerlichen. Der Wert aller Menschen ist gleich. Der Grund dafür ist, dass er direkt von der Menschenwürde abhängt. Diese Würde des Menschen ist uns allen eigen. Wir besitzen sie, weil wir sind. Wir können sie nicht verlieren.
Das Selbstwertgefühl bezeichnet unsere Fähigkeit, aus uns selbst heraus, ohne die Berücksichtigung der Achtung, die uns andere entgegenbringen, und unserer sonstigen Eigenschaften, ein Gefühl der Wertigkeit zu schöpfen. Viele Menschen suchen verzweifelt etwas, woran sie ihren eigenen Wert festmachen können – und finden das nur in äußeren Dingen wie ihrer Arbeit oder ihrer Hilfsbereitschaft. Wir dürfen aber Selbstwert direkt und ohne Weiteres aus unserer Würde schöpfen.
Es ist an der Zeit, dass wir unsere eigene Würde anerkennen, wie wir die Würde anderer anerkennen. Folglich müssen wir uns selbst denselben Respekt, die Empathie und die Rücksichtnahme entgegenbringen, die wir anderen schulden. Und wir dürfen uns selbst denselben Wert beimessen wie anderen.
Lasst uns darauf achten.