Grenzen setzen – aber wann?

Grenzen setzen | © 2021 Claus R. Kullak | Foto: Fang Y M / Pixabay | resanimus.prepon.de

Ja, ja, Grenzen sollen wir zu setzen lernen, weil Grenzen für den Selbstschutz wichtig sind. Weiß ich schon. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt? Und wie deutlich soll ich sein?

Viele Menschen haben Probleme damit, Grenzen zu setzen. Mir geht es auch so. Aus dieser eigenen Erfahrung heraus weiß ich, dass es die Sache mit dem Grenzensetzen in mehrere Kernprobleme zerfällt:

  • zu wissen, dass ich Grenzen setzen darf
  • herauszufinden, wo meine Grenzen sind, bzw. was ich eigentlich will oder brauche
  • den richtigen Zeitpunkt zu finden, an dem ich die Grenze ziehe
  • zu wissen, wie (deutlich) ich eine Grenze ziehen muss

Daraus ergeben sich mehrere Artikelthemen, von denen ich mich hier auf die Frage nach dem Zeitpunkt konzentrieren möchte. Dafür möchte ich zwei Situationen als Beispiel heranziehen, deren zweite noch eine Aussage zur Deutlichkeit bzw. Vehemenz beim Ziehen einer Grenze erlaubt. Für alles andere müssen zukünftige Artikel herhalten.

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Das Klassenzimmer ist eine Löwengrube, die einen Zaun braucht

Die erste Beispielssituation ist das Klassenzimmer. Ich habe neuneinhalb Jahre als Lehrer gearbeitet und gelernt, wie man eine Klasse diszipliniert hält (mit Motivation ist das eine anders Sache). Um ehrlich zu sein, war eine meiner größten und anhaltendsten Ängste, dass die Klasse einfach nicht tut, was ich sage. Schließlich bin ich allein gegen viele. Wie kann ich mich durchsetzen?

Dafür bekam ich gleich zum Einstieg den richtigen Tipp: Man setzt sich durch, indem man sich von Anfang an durchsetzt. Es ist nämlich viel schwerer eine neue Regel einzuführen, als eine überflüssige Regel aufzugeben. Die Empfehlung ist also, alle Regeln, die man haben möchte, gleich in der ersten Stunde explizit einzuführen und mit aller Konsequenz durchzusetzen (ja, auch wenn man sich dabei kleinlich fühlt).

Dabei sind die Schüler:innen in der ersten Stunde noch handzahm. Erst in der zweiten und manchmal dritten Stunde testen sie aus, wie weit sie gehen können, bzw. wie ernst die Lehrperson es mit den angekündigten Regeln meint.

Je mehr man sich als Lehrperson in diesen anfänglichen Situationen durchsetzt, desto weniger Aufwand mit Störung und Fehlverhalten hat man später. Klar bleibt es weiterhin notwendig, die Regeln konsequent durchzusetzen, damit sich nichts einschleicht. Aber das Wichtigste ist geschafft – und das Klassenzimmer ist gar keine Löwengrube mehr.

Grenzen setzen von Anfang an

Die Kernbotschaft, die man aus dieser beispielhaften Situation ziehen kann, ist also klar:

  • Die Grenzen, die wir haben möchten, definieren wir immer sofort, nicht erst nachdem alle schon eine Weile lang darauf herumgetrampelt sind
  • Wir definieren diese Grenze auch explizit, nicht in irgendeiner Weise undeutlich
  • Wenn nachträglich neue Regeln notwendig sind, verfahren wir damit genauso
  • Wenn eine Regel (zeitweise) obsolet wird, können wir sie explizit (zeitweise) außer Kraft setzen
  • Alle Regeln werden unnachgiebig durchgesetzt, denn je konsequenter man das macht, desto weniger muss man es machen

Leider verhalten wir uns im echten Leben nicht so konsequent. Das liegt vor allem daran, dass wir am Anfang einen guten Eindruck vermitteln möchten: beim neuen Arbeitgeber, bei der erhofften Partnerperson oder in einer neuen Gruppe, zu der wir stoßen. Wir wollen bloß nicht unflexibel, kompliziert oder unkooperativ erscheinen. Also verzichten wir darauf, Grenzen zu ziehen, die wir später gerne schon längst gezogen hätten.

Dann ist das natürlich schwerer. Wenn ich neue Grenzen ziehe, muss ich mir häufig anhören, dass ich mich verändert habe und bislang ja auch nicht „so empfindlich“ war. Wenn wir keinen Respekt für uns und unsere Grenzen erfahren, ist ein Selbstschutz manchmal nur noch durch Aufgabe der betreffenden Beziehung möglich – Wechsel des Arbeitgebers, Schluss machen, Gruppe verlassen. (In diesem Kontext ließe sich sicherlich in einem Artikel zum Recht auf Grenzen und Selbstwertgefühl schreiben.)

Grenzen jederzeit wahren

Aus demselben Grund müssen wir Grenzen immer explizit setzen bzw. explizit temporär aufheben: Wenn wir möchten, dass unsere Grenzen respektiert werden, müssen sie auch klar sein. Sind wir aus irgendwelchen Gründen einmal bereit eine Grenze überschreiten zu lassen, müssen wir das als Ausnahme vermitteln.

Gegebenenfalls kommt der Anstoß dazu auch von unserem Gegenüber. Dann müssen wir verhandeln, wie die neue Regeln oder Ausnahme aussehen sollen. Am deutlichsten ist das vielleicht im Job: Sind wir dieses eine Mal zu Überstunden oder zur Übernahme einer Zusatzaufgabe bereit, müssen wir klar machen, dass wir das nicht als generelle Veränderung der Regeln verstanden haben wissen wollen.

Sonst passiert nämlich Folgendes: Erst trampelen wir selbst über unsere Grenze, und dann trampeln die anderen hinterher. Und als Nächstes wissen wir gar nicht, wie es so weit kam. Respekt für unsere Grenzen fängt also immer bei uns selbst an! Wir müssen diejenigen sein, die unsere Grenzen am konsequentesten respektieren, wenn wir erwarten, dass andere sie auch respektieren.

Katzen kratzen

Folglich müssen wir, wie gesagt auch jeden Grenzübertritt ansprechen und zurückweisen. Sonst folgen die anderen ggf. nur unserem Beispiel, unsere Grenzen nicht zu respektieren. (Was im Übrigen nicht bedeutet, dass wir selbst schuld sind, wenn jemand unsere Grenzen überschreitet. Es gibt leider unachtsame, ignorante und antisoziale Menschen.)

Als zweite Beispielsituation möchte ich daher auf die Katze vom Beitragsbild zurückkommen. Wer schon mal mit einer Katze gespielt oder sie gestreichelt hat, weiß, dass dieses Tier äußerst effektiv darin ist, seine Grenzen zu wahren:

  • Erstens wird sie entweder sofort gehen, wenn ihr etwas nicht passt, oder durch Schlecken, Krallen oder angedeutete Bisse deutlich klar machen, wo sie ihre Grenze gesehen haben will.
  • Zweitens wird sie äußerst schmerzhaft zuschlagen, wenn diese Grenze danach nicht augenblicklich respektiert wird. Das klärt dann auch die Frage, wie vehement wir unsere Grenzen einfordern müssen: Genau so vehement, wie es notwendig ist, um sie zu wahren.

Ein Zusammensein mit einer Katze wird immer nur nach den Regeln der Katze verlaufen können. Klar kann man sie zähmen und langsam von etwas überzeugen. Aber jeder Versuch, etwas gegen den Willen der Katze durchzusetzen, wird mit größter Sicherheit in einer Niederlage oder einem Purrhussieg enden (sorry, der musste sein).

Was wir von Katzen lernen können, ist also, unsere Grenzen immer und immer sofort und immer in hinreichend vehementer Weise zu setzen, wenn sie überschritten werden. Alles andere würde bedeuten, unsere Grenzen selbst preiszugeben.

(Bliebe eigentlich nur noch zu erklären, wie man Grenzen konkret aufzeigt und verteidigt. Aber dafür muss ich auf einen zukünftigen Artikel verweisen. Das wäre mir jetzt zu viel.)

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